Haushaltsrede 2010

Ratssitzung am 25. März 2010 15:00 Uhr


Ein Deut oder Duit war eine vom 14. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts geprägte niederländische Münze, anfangs aus Silber und seriöses Zahlungsmittel. Dann reduzierte man nach und nach den Silbergehalt und ersetzte das Edelmetall durch ein billigeres Material. Schon ab 1573 bestand sie nur noch aus Kupfer und hatte kaum noch Zahlungs­wert, sie war „keinen Deut mehr wert“. Wieso geht mir diese Redensart durch den Kopf, wenn ich den Entwurf der Haushaltssatzung der Stadt Oer-Erkenschwick für das Haushaltsjahr 2010 lese?


14,2 Mio. € Verlust im Ergebnisplan bedeuten eine Verschlechterung im Vergleich zu 2008 um mehr als 9 Mio. €. Hinzu kommen rd. 13,1 Mio. € als operatives Defizit und 1,8 Mio. € als investives Negativergebnis (Finanzplan – HH-Satzung) sowie zusätzlich erneut Liquiditätskredite in Höhe von 80 Mio. €. Das heißt, alle laufenden Ausgaben sind kreditfinanziert. So ist im Finanzplan 2010 vorgesehen, Kredite in Höhe von 5,8 Mio. € zu tilgen. Diese Tilgung muss aber wiederum zu 100 % fremdfinanziert werden, weil die Gesamteinnahmen der Stadt zur Kredittilgung nicht ausreichen.


Glaubt man den im Vorbericht ausgewiesenen Finanzzahlen für 2008, dann werden wir Ende 2013 aus den Haushalten 2008 bis 2013 einen Schuldenberg von mindestens 72,6 Mio. € angehäuft haben. Dieser wird aber eher höher sein durch die Mindereinnahmen bei den ursprünglich in Ansatz gebrachten Kirmesplatzerlösen, den wachsenden Kredittilgungsverpflichtungen und einer blauäugigen Zinskalkulation. Das Kreditrating unserer Stadt wird aufgrund der drohenden Überschuldung immer schlechter und jeder weitere Kredit wird nur zu jeweils höheren Zinsen zu bekommen sein. Dann dürften auch die im Ergebnisplan ausgewiesenen Zinsen und sonstigen Finanzaufwendungen zu niedrig angesetzt sein.


Wo soll das hinführen? Das Eigenkapital wird Ende nächsten Jahres aufgezehrt sein (S.63). Damit droht Oer-Erkenschwick die Überschuldung im Sinne des § 75 Abs. 7 GO NRW mit u.a. folgenden Konsequenzen:

  • Kreditaufnahmen und Investitionen können vom Rat nicht mehr rechtswirksam beschlossen werden, sondern müssen in jedem Einzelfall von der Aufsichtsbehörde genehmigt werden.
  • Keine Beförderungen bei den städtischen Bediensteten mehr.
  • Rückführung bzw. Streichung sämtlicher freiwilliger Leistungen z.B. für Sportvereine und Jugendverbände.


Die UWG ist nicht der Neinsager vom Dienst, wir wollen auch nicht auf den teilweise unterschiedlichen Zahlenangaben zwischen Vorbericht und Produktplan sowie auf die über 14 % hohe Fehlerquote im allgemeinen Verwaltungsbereich herumreiten. Wir kritisieren aber den Mangel an konkreten Konsolidierungsmaßnahmen im Haushaltssanierungskonzept. Die Konsolidierungsstrategie ist total unklar, denn die mittelfristige Finanzprognose beruht weitestgehend auf sehr vage formulierten möglichen Kosteneinsparungen. Es fehlt ein Masterplan der Entschuldung. Leider hat unser Bürgermeister nicht die Chance genutzt, vor den Haushaltsberatungen in der Sparkommission gemeinsam mit allen Fraktionen alle denkbaren Einsparmöglichkeiten ergebnisoffen zu überprüfen sowie die Tilgung der Verbindlichkeiten voranzutreiben. Stattdessen hören wir die SPD, die immer wieder neue Mittel „zur Verfügung stellen“, d.h. neue Schulden machen will. Zum Beispiel 1,2 Mio. € für eine neue Turnhalle (SZ 13.03.2010), die sie mit der Schulpauschale 2011/12 finanzieren will. Die erwartete Zuweisung für 2010 musste von der Verwaltung aufgrund eines Eingabefehlers bereits um über 150.000 € nach unten reduziert werden (Änderungsliste v. 17.03.2010). Was bleibt für andere notwendige Maßnahmen noch über, wenn auch die 1,2 Mio. € im Topf fehlen? Die Wünsche der Paul-Gerhardt-Schule sind verständlich, doch wie sieht die Entwicklung der prognostizierten Schülerzahlen für die nächsten zehn Jahre insgesamt aus? Die Zahlen sind von 2006 (3.470) bis 2011 (2.897) um fast ein Fünftel rückläufig (S.116). Und wer finanziert die Folgekosten für Personal, Unterhaltung und Reparaturen?


Die Gewerbesteuer bleibt weiterhin wichtige Ertragsquelle für den städtischen Haushalt. Dass die geschätzten Ansätze für 2010 im Vergleich zu 2009 mit Mindereinnahmen in Höhe von ca. 1,6 Mio. € dramatisch um rd. 25 % sinken, erklärt sich nach Auffassung der Verwaltung (S.13) wesentlich durch die „Auswirkungen der allgemeinen Wirtschaftskrise“ und durch „unbeeinflussbare, nicht hausgemachte Faktoren“. Die UWG ist dagegen überzeugt, dass das Gewerbesteueraufkommen durchaus beeinflussbar ist. Oer-Erkenschwick muss allerdings spürbar attraktiver werden für mittelständische Betriebe. Dazu gehört nicht nur, ansiedlungswilligen Firmen mit politischem Überzeugungswillen intelligente Standortlösungen anzubieten, wie es uns der Recklinghäuser CDU-Bürgermeister mit Bravour vormacht. Dazu gehört ebenso ein niedriger Gewerbesteuer-Hebesatz als finanzielle Zugnummer für den Gewerbetreibenden. Der Runderlass „Maßnahmen und Verfahren zur Haushaltssicherung“ vom 06.03.2009 für Gemeinden mit Nothaushaltsrecht schreibt zwar einen Hebesatz vor, der mindestens in Höhe des Landesdurchschnitts (2008: 433) festgesetzt sein muss. Aber mit einer Senkung um 30 Punkte auf 440 lägen wir immer noch deutlich höher, was sich aber für manchen Firmeninhaber trotzdem rechnen lässt und seine Standortentscheidung beeinflussen würde.


Antrag 1:


Der Hebesatz für die Gewerbesteuer wird von 470 auf 440 v.H. gesenkt.




Die Finanz- und Ergebnisplanungen lassen ein erschreckendes haushaltspolitisches Selbstverständnis erkennen. Nur zwei Beispiele seien hier genannt:


Das erste Beispiel erhält aufgrund der Berichterstattungen in der Presse über erfolgreiche Klagen vor dem Arbeitsgericht Herne gegen den örtlichen Geschäftsführer „eines der schönsten Häuser im Kreis Recklinghausen“ eine eher abschreckende Aktualität.


So wird für die Stimberg- und Stadthalle (PP S 136ff) einschließlich der Zuschüsse an die Stimberg- und Stadthallen GmbH für die Jahre 2010 bis 2013 ein jährliches Verlustgeschäft von rd. 500.000 € geplant. Unterstellt man, dass in 2010 nur noch 5 städtische kulturelle Veranstaltungen stattfinden, dann erlaubt sich unsere nahe an der Überschuldung liegende Gemeinde in 2010 bei einem Abzug von kalkulatorischen 55.000 € für die Stimberghalle für jede Veranstaltung in der Stadthalle einen Verlust von bis zu rd. 90.000 €. Gleichwohl hören wir unverdrossen vom Kämmerer, durch die Verpachtung der Hallen an die Stimberg- und Stadthallen GmbH sei für die Stadt gespart worden.


Umso skandalöser ist die Tatsache, dass für eine sachgerechte Planung teilweise keine beim Geschäftsführer Herrn Skodell mehrmals angemahnte Zahlen vorliegen. Sollte der Grund darin liegen, dass laut Bundesanzeiger vom 15.05.2009 die Gesellschaft erneut einen Verlust ausweisen und rote Zahlen schreiben musste? (3.055,28 € Jahresfehlbetrag). Wir Ratsmitglieder kennen die außerordentlichen Kündigungsmöglichkeiten des Pachtvertrages. Warum machen wir davon keinen Gebrauch? Warum der Bericht der Wirtschaftsberatungs- und Revisionsgesellschaft (WRG) über die Prüfung des Jahresabschlusses 2007 der Stimberg- und Stadthallen GmbH erst in dieser Woche aus Gütersloh ins Rathaus gebracht werden soll, und dem Rat nicht im Rahmen der Haushaltsberatungen vor einer Beschlussfassung über weitere städtische Zuschüsse für Stimberg- und Stadthalle als wichtige Entscheidungshilfe vorgelegt wurde, kann man nur erahnen.


Antrag 2:


Die Verwaltung wird beauftragt zu prüfen, inwieweit der Pachtvertrag mit der Stimberg- und Stadthallen GmbH infolge von Nichterfüllung von vertraglichen Verpflichtungen (siehe z.B.: Stadthalle § 9,2-Neufassung / Stimberghalle § 11,2 / Sondervereinbahrung § 1,4) außerordentlich gekündigt werden kann und inwieweit Aufgaben des bisherigen Pächters von der Gesellschaft für Stadtentwicklung, Wirtschafts- und Tourismusförderung mbH Oer-Erkenschwick übernommen werden können.




Für Abfallbeseitigung, Entwässerung sowie Straßenreinigung und Winterdienst kalkuliert die Verwaltung für 2010 einen Überschuss von rd. 2 Mio. €. Unter Berücksichtigung der in der Gebührenkalkulation angesetzten kalkulatorischen Abschreibungen und Zinsen dürften davon rd. 1,3 Mio. € als Einnahme und Ertrag bei der Stadt ankommen. Rd. 0,7 Mio. € müssten an die Gebührenzahler zurückfließen. Darüber hinaus ergibt eine Abstimmung der Ergebnis- und Finanzpläne über den Kalkulationszeitraum eine durchschnittliche jährliche Differenz von rd. 1,1 Mio. €. Aufgrund dieser Feststellungen schätzen wir, dass die Ergebnisplanungen für 2010 bis 2013 jährlich einen um durchschnittlich 1,8 Mio. € zu geringen Verlust ausweisen. Für 2010 bedeutet dies, dass nicht ein Verlust von 14,2 Mio. € sondern einer von rd. 16,0 Mio. € auszuweisen wäre.


Das Maritimo (PP S. 180ff) wird bis 2013 – und auch wahrscheinlich weit darüber hinaus – für die Stadt einen jährlichen Verlust von rd. 1,1 Mio. € verursachen, dies allein aufgrund der hohen Abschreibungen und Zinsbelastungen (insgesamt 1,6 Mio. € für 2010 oder 54 € pro Einwohner). Der Anteil des Schul- und Vereinsschwimmens am Verlust des Jahres 2010 liegt bei rd. 9 % (= 116.025 € lt. Aufstellung freiwilliger Leistungen zum geplanten Verlust für 2010 von 1.244.559 € = 9,32 %), d.h. auf einen Euro Schul- und Vereinsschwimmen kommt ein städtischer Zusatzbeitrag von rd. 11 Euro oder konkreter: Eine Bahnstunde Schul- und Vereinsschwimmen kostet den Bürger Oer-Erkenschwicks ca. 120 € (= geplanter Verlust 2010 von 1.244.559 € geteilt durch 116.025 € (= Vergütung an Maritimo für Bahnstunden lt. Pachtvertrag von 11,50 €)). Ein sehr stolzer Preis. Trotzdem erhält die Stadt als Eigentümer des Bades von der Betreibergesellschaft keinerlei Auskünfte über u.a. die Zahl der Besucher und die tatsächliche Nutzung des Bades durch Schulen und Vereine, so dass wesentliche Kennzahlen im Produktplan fehlen. Nimmt hier die Verwaltung ihr Einsichtsrecht in die Bücher der Pächterin gemäß § 12 Abs. 3 Pachtvertrag eigentlich nicht wahr? Warum geriert sich der Betreiber, obwohl das Maritimo ein gewaltiger Zuschussbetrieb ist, als ein solch unkooperativer Pächter?


Laut Bundesanzeiger vom 14.12.2009 ist die Maritimo Oer-Erkenschwick Freizeitbad GmbH & Co. KG zum 31.12.2008 bilanziell überschuldet. Und für Schäden im Maritimo hat die Gesellschaft zum 31.12.2008 offenbar auch keine Rückstellungen gebildet. Das deutet darauf hin, dass zumindest für die Betreibergesellschaft die Schuldfrage für die Mängel wohl geklärt ist, nämlich nicht verantwortlich.


Die UWG hat die ausufernden Kosten dieses 25 Mio.-Euro-Bades von Anfang an für unverantwortlich gehalten und kann daher dem ehemaligen CDU-Bürgermeister von Langenfeld (Magnus Staehler), nur zustimmen, wenn er feststellt:
„Ein Spaßbad auf Pump ist für mich Betrug am Steuerzahler“ (in: Haushaltssteuerung.de / 01.04.2009).


Insgesamt bietet dieser Haushaltsentwurf 2010 für unsere Gemeinde keine finanziell tragbaren Perspektiven. Er hinterlässt unseren Kindern eine unzumutbare finanzielle Erblast. Die UWG kann ihm daher nicht zustimmen.



Vorgetragen von Helmut Lenk, Fraktionssprecher
(Es gilt das gesprochene Wort)